Analyse: Das Gesetz der kleinen Zahl
Oder: “Je kleiner eine Stichprobe, um so unsicherer das Ergebnis.” Und welche üblen Folgen es haben kann, auch für Projektleiter und Business Analysten, wenn man dieses Gesetz ignoriert.
In seinem Bestseller Thinking, Fast and Slow schildert Daniel Kahnemann wie er am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn am “Gesetz der kleinen Zahl” schier verzweifelt ist: Er konnte in seinen Experimenten nicht reproduzieren, dass sechsjährige Mädchen im Durchschnitt einen größeren Wortschatz haben als gleichaltrigen Jungen. Mal waren die Mädchen deutlich überlegen, mal die Jungen, mal waren beiden Gruppen gleichauf. Erst als er seine Versuche mit größeren Teilnehmerzahlen durchführte, verschwanden diese statistischen Verzerrungen und er konnte die Überlegenheit der Mädchen bestätigen.
Zu kleine Stichproben verführen nicht nur Biowissenschaftler immer wieder zu Behauptungen, die ihre Kollegen nicht reproduzieren können, auch in den Sozialwissenschaften treiben sie schon lange ihr Unwesen. So hatten die Republikaner bei den US-Präsidentschaftwahlen von 2016 den größten Vorsprung in dünn besiedelten Wahlkreisen mit relative wenigen Wählern. Na klar, das sind ländliche Gebiete mit abgehängten “weißen Männern” (und Frauen), die in ihrer Frustration dem Populismus von Donald Trump erliegen. Aber das Gegenteil war auch richtig: Die Demokraten ihrerseits hatten den größten Vorsprung vor den Republikanern ebenfalls in Wahlkreisen mit wenigen Wählern, nicht in den bevölkerungsreichen.
Diese scheinbare Paradoxie kann man durch “langsames Denken” im Sinn von Kahnemann auflösen: Angenommen, in einer Urne liegen zahlreiche Kugeln, die entweder schwarz oder weiß sind. Man zieht nun blind Kugeln aus der Urne und möchte aus dieser Stichprobe darauf schließen, wie häufig die weißen Kugeln in der Urne sind. Wie viele Kugeln muss man ziehen, damit man den Anteil der weißen Kugeln mit genügender Sicherheit schätzen kann, sagen wir mit 95-prozentiger Sicherheit?
Betrachten wir zunächst die beiden Extremfälle:
- Wenn man überhaupt keine Kugeln aus der Urne zieht, weiß man auch überhaupt nichts über deren Farbverteilung.
- Zieht man aber alle Kugeln aus der Urne und zählt die Farben aus, weiß man mit hundertprozentiger Sicherheit, wie hoch der Anteil der weißen Kugeln ist.
Wie die Sicherheit mit dem Stichprobenumfang wächst, kann man mit statistischen Methoden berechnen (siehe z.B. “Statistik für Wirtschaftswissenschaftler” von Josef Bleymüller; Verlag Franz Vahlen; 16. Auflage 2012). Das ist zwar mühsam, aber unumgänglich für die Versuchsplanung, denn sonst weiß man nicht, wie weit man sich auf die Versuchsergebnisse verlassen kann.
Aber auch als Projektleiter oder Business Analyst sollte man sich jetzt nicht grinsend zurücklehnen, denn man ist nur allzu oft selbst in Gefahr, am “Gesetz der kleinen Zahl” Schiffbruch zu erleiden.
Beispiel Test: Wie oft ist es schon vorgekommen, dass ein System alle Tests bestanden hat und trotzdem verheerende Fehler aufgetreten sind, wenn man es produktiv nutzt? Man hat hier wieder das “Gesetz der kleinen Zahl” zu spüren bekommen, diesmal in Form einer zu kleinen Zahl von Testfällen. Die Stichprobe der durchgeführten Tests war so klein, dass man die schweren Fehler nicht bemerkt hat, die sich als wenige schwarze Kugeln in der Massen der weißen Kugeln, also der korrekten Funktionen, versteckt haben. Zwar hätte man auch mit wenigen Tests zufällig auf solche Fehler stoßen können, aber die Wahrscheinlichkeit dafür war wegen der geringen Zahl von Tests nicht hoch genug, um den positiven Testergebnissen zu vertrauen.
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