Buchtipps

Fachbücher, die ich mit großem Gewinn oder Vergnügen oder beidem gelesen habe, finden in dieser Rubrik ihren Platz.

Buchtipp: “Business Analysis Agility”

Von James Robertson und Suzanne Robertson; Addison-Wesley 2019.

Die beiden Autoren, Veteranen der legendären Atlantic Systems Guild, greifen in diesem Buch erneut ein Thema auf, das sie schon lange mit großem Erfolg bearbeiten: Wie man durch eine geschickte und schlanke Business Analyse den Grundstein für exzellente Lösungen legt.

Ihr jüngstes Buch konzentriert sich laut Untertitel auf zwei Kernaspekte der Business Analyse:

Solve the real problem, deliver real value

An einem konkreten Beispiel entwickeln sie Schritt für Schritt, was das konkret heißt. Dass sie zunächst die zentrale Bedeutung der Problem-Analyse für alles Weitere herausarbeiten, hat einen guten Grund: Nur allzu oft erlebt man als Business Analyst oder Projektleiter, dass Auftraggeber, Fachbereiche und Projektteam schnurstacks zum Lösungsentwurf übergehen wollen, ohne dass klar wäre, worin das das zu lösende Problem genau besteht.

Zweifellos kann es bei der Problemanalyse hilfreich sein, mithilfe von Lösungsskizzen zu überprüfen, welche Lücken und Missverständnisse sich noch im aktuellen Problemverständnis verbergen und so die Analyse inkrementell voranzutreiben. Aber viele Teams erliegen der Versuchung, dabei die Analyse sträflich zu vernachlässigen zugunsten einer schnellen Lösungsfindung, die dann wenig überraschend zu halbgaren Ergebnissen führt: Wenn man nicht genau weiß, was das Problem ist, wird es zur Glückssache, ob die Lösung wirklich passt.

Der “real value”, den ein Projekt liefern soll, ist nichts anderes als der Nutzen der Lösung für ihre Stakeholder. Es ist kritisch für den Projekterfolg, die oft wolkigen Nutzenvorstellungen der Stakeholder soweit zu präzisieren, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes “zielführend” werden. Worin der Nutzen genau bestehen soll und wie man überprüfen kann, ob man ihm am Ende auch erreicht, ist also ein wesentlicher Teil der Problemanalyse. Je nach Stakeholder kann der Nutzen eher in qualitativen Verbesserungen bestehen oder in quantitativen bzw. monetären wie etwa Kosteneinsparungen.

Viele glauben, das Ziel eines IT-Projekts sei die Entwicklung oder Verbesserung eines IT-Systems. Dabei geht es in Wirklichkeit darum, die Welt zu verbessern, indem man einen bestimmten Nutzen erzielt, den man ohne das IT-System nicht erzielen könnte. So gesehen ist ein IT-System nur ein Baustein einer umfassenderen Lösung,

  • zu der auch die Geschäftsprozesse gehören, in welche das IT-System eingepasst wird,
  • und die Menschen, deren Leben das IT-System verändert, hoffentlich zum Besseren.

Das Buch bietet eine Fülle von praxiserprobten Tipps, wie man

  • den Raum der potentiellen Lösungen erkundet, als Voraussetzung dafür, sich einer optimalen Lösung anzunähern,
  • diverse agile Methoden geschickt einsetzt, insbesondere Stories,
  • und schließlich den gesamten Analyseprozess flink und zielstrebig durchläuft, um möglichst schnell den angestrebten Nutzen einfahren zu können.

Insgesamt ein schlankes Buch (reichlich 200 Seiten), das die Grundprinzipien agiler Business Analyse sehr klar und mit einer Prise Humor auf den Punkt bringt.

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Buchtipp: “Thinking, Fast and Slow”

Von Daniel Kahnemann; Penguin Books; 2012

Daniel Kahnemann erhielt 2002 den Wirtschaftsnobelpreis für seine Forschungen zur Verhaltensökonomik, die er seit den 1970er-Jahren vor allem zusammen mit Amos Tversky durchgeführt hat. Im Zentrum dieser Forschungen steht ein Modell der menschlichen Entscheidungsfindung, das nicht nur auf einer kühlen Abwägung von Kosten und Nutzen nach Art eines völlig rationalen Home oeconomicus basiert, sondern auch zahlreiche kognitive Verzerrungen berücksichtigt, welche die Forscher bei echten Menschen in sorgfältig durchgeführten Experimenten beobachtet und nach Art der Wirtschaftswissenschaftler in mathematische Modelle gefasst haben.

Kahnemanns Buch “Thinking, Fast and Slow”, das sich rasch zu einem internationalen Bestseller entwickelt hat, beschreibt nicht nur die revolutionären Ergebnisse dieses Forschungszweigs, sondern schildert auch die Wege und Irrwege, auf denen diese Ergebnisse erzielt wurden. Das ist an sich schon sehr interessant, um so mehr aber, als man den beschriebenen kognitiven Verzerrungen nur allzu leicht selbst unterliegt und hofft, ein besseres Verständnis dieser Denkfehler könne vielleicht helfen, sie künftig zu vermeiden.

Das ist allerdings leichter gesagt als getan, wenn Kahnemann recht hat und die kognitiven Verzerrungen das Produkt weitgehend automatisierter Vorgänge sind, die uns schnelle Entscheidungen unter Ungewissheit ermöglichen und die eine lange Evolutionsgeschichte tief in uns verankert hat.

Wenn wir kognitive Verzerrungen vermeiden oder überhaupt erst einmal bemerken wollen, müssen wir dagegen die Mühsal des “langsamen Denkens” auf uns nehmen, das durch Logik, Wahrscheinlichkeitsrechnung und ähnliche Zumutungen einen ungetrübteren Blick auf die Entscheidungssituation und die verfügbaren Alternativen ermöglicht. Kahnemann illustriert das zum Beispiel am Gesetz der kleinen Zahl.

Wem das Buch von Kahnemann zu umfangreich ist, der kann viele der darin beschriebenen Denkfallen auch im kurzweiligen Buch von Rolf Dobelli finden: “Die Kunst des klaren Denkens. 52 Denkfehler, die sie besser anderen überlassen” (Hanser Verlag 2011).

Und wem das Buch von Kahnemann nicht reicht, dem sei “Rationality for Mortals” empfohlen mit dem Untertitel “How People Cope with Uncertainty” (Oxford University Press, 2008). Darin setzt sich Gerd Gigerenzer, Kognitionspsychologe und Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Universität Potsdam, kritisch mit den Hypothesen Kahnemanns auseinander, indem er den adaptiven Vorteil des “schnellen Denkens” betont: Außerhalb des Labors erweisen sich laut Gigerenzer viele kognitiven Verzerrungen des “schnellen Denkens” als erstaunlich nützlich oder waren es zumindest lange Zeit während der Evolutionsgeschichte des Menschen. Auch Gigerenzer ist aber davon überzeugt, dass wir kognitive Verzerrungen möglichst vermeiden sollten, wenn wir verantwortungsbewusst Entscheidungen treffen wollen in unserer heutigen unübersichtlichen Welt.

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Buchtipp: “Rebooting AI – Building Artificial Intelligence We Can Trust”

Von Gary Marcus und Ernest Davis; Vintage Books; August 2020.

In diesem Buch zeigen zwei renommierte KI-Experten an zahlreichen Beispielen, wie schlecht die heutige KI mit der Welt abseits von Go-Brettern und Videospielen zurecht kommt und entwickeln Vorschläge, die man diese Beschränkungen überwinden könnte.

So haben neuronale Netze, die zurzeit so überraschende Erfolge feiern, auf der anderen Seite

  • einen umgekippten Schulbus als Schneepflug klassifiziert und
  • ein Stoppschild, das Scherzbolde mit Aufklebern verziert hatten, plötzlich für eine Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten.

Den erstaunlichen Fähigkeiten moderner KI-Algorithmen steht also oft ein mindestens ebenso erstaunliches Versagen in der realen Welt gegenüber, wo sie mitunter an Aufgaben scheitern, die selbst kleine Kinder spielend bewältigen.

Warum das so ist, untersuchen die Autoren, indem sie die Arbeitsweise von KI mit unseren kognitiven Fähigkeiten vergleichen. Wenn z.B. eine KI einen Text übersetzt, nutzt sie statistische Zusammenhänge, die sie zuvor aus ungeheuren zweisprachigen Textmassen extrahiert hat. Beim Übersetzen tauscht sie also Zeichenketten der Quellsprache aus durch statistisch passende Zeichenketten der Zielsprache. Das ist alles, und intelligent wirkt das nicht gerade.

Eine menschliche Übersetzerin muss zwar zunächst auch den Quelltext lesen, aber dann tut sie etwas Unerhörtes, jedenfalls für KI-Begriffe: Während des Lesens versucht sie, den Text zu verstehen! Sie übersetzt also nicht den Text an sich, sondern ein Stück Welt, das sie in ihrem Geist erschaffen hat aus den dürren Stichworten im Text und einer Fülle von Wissen, Erfahrungen, Gefühlen usw., über die sie als menschliches Wesen verfügt.

Die Autoren gehen natürlich etwas nüchterner an dieses Thema heran, als ich mir das hier als begeisterter Bücherwurm erlaubt habe, und tragen eine stattliche Liste von kognitiven Fähigkeiten zusammen, die wir den heutigen KI-Algorithmen voraus haben und die es uns ermöglichen, in einer Welt zu überleben, in der wir immer wieder mit Neuem konfontiert werden.

Diese Liste von kognitiven Fähigkeiten inspiriert die Autoren dazu, ein Forschungsprogramm zu skizzieren, von dem sie überzeugt sind,

  • dass es einen Weg aus der Sackgasse weist, in der die KI ihrer Ansicht nach heute steckt,
  • und das die KI nach und nach mit “common sense” und am Ende sogar einer “general intelligence” ausstatten soll,
    • der man eher vertrauen kann als den heutigen fachidotenhaften KI-Algorithmen, die beim geringsten Überschreiten ihrer Grenzen so spektakulär und überraschend scheitern können, dass man sich besser nicht blindlings auf sie verläßt.

Ob die Vorschläge der Autoren für einen Neustart der KI-Forschung am Ende zu besseren und vertrauenswürdigeren KI-Anwendungen beitragen werden, kann ich als KI-Laie nicht beurteilen. Aber lesenswert ist dieses Buch allemal für jeden, der mehr über Grenzen und Potential von KI erfahren möchte.

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