Analysen

Die Themen meiner Analysen reichen von Überlegungen zu den Grundlagen meines Berufs bis hin zu Fragen aus der aktuellen Praxis wie der Optimierung der OZG-Umsetzung.

Analyse: Logistiker ohne Gehirn – Blob schlägt KI

Er fristet sein unscheinbares Dasein, indem er neue Ausläufer in Richtung frischer Nahrung voranschiebt, während er sich von bereits erschöpften Resten organischen Materials zurückzieht: der Schleimpilz Physarum polycephalum. Fremdartiger als dieser Blob könnte auch ein Alien auf einem Jupitermond kaum aussehen.

Der Schleimpilz Physarum polycepalum überzieht einen verrottenden Ast mit seinem Geflecht.
Der Schleimpilz Physarum polycephalum überzieht einen verrottenden Ast mit seinem Geflecht. (Quelle: frankenstoen, CC BY 2.5 https://creativecommons.org/licenses/by/2.5, via Wikimedia Commons)

Unermüdlich sorgt er dafür, dass die Erde nicht in organischen Abfällen erstickt. Und geht dabei ziemlich raffiniert vor, obwohl er weder über ein Gehirn noch über Nervenzellen verfügt.

Davon kann sich jeder selbst überzeugen, der ihm ein paar Haferlocken als Nahrung anbietet, die er auf die Tokioter U-Bahn-Stationen verteilt, natürlich nicht in echt, sondern auf einem maßstabsgetreuen Stadtplan.

Sobald unser Miniatur-Logistiker die Haferflocken bemerkt, bildet er Ausläufer, um sie als Nahrungsquellen zu erschließen. Dabei entwickelt er allmählich ein Netzwerk, das verblüffend dem Tokioter Streckennetz ähnelt.

Wenn man die Haferflocken mehr oder weniger stark aufhäuft je nach der Passagierfrequenz einer Station, spiegelt die Dicke der Ausläufer sogar die Durchflussrate der Bahnstrecken wider.

Je genauer Wissenschaftler hinschauen, um so mehr Überraschungen hält Physarum polycephalum für sie bereit. So kann er z.B. mühelos den kürzesten Weg durch ein Labyrinth finden.

Physarum polycephalum ist also ein ausgefuchster Logistiker. Mehr noch: Dieser Einzeller schlägt unsere besten KI-Programme um viele Größenordnungen – nämlich in Punkto Nachhaltigkeit:

  • Er kommt ohne aufwändige Infrastrukturen aus, also ohne Stromnetz, Datenleitungen, Klimaanlagen, usw.
  • Er verbraucht fast keine Energie. Und wenn, stammt die ja aus organischen Abfällen.
  • Er ist vollständig biologisch abbaubar!

Wen Physarum polycephalum nun für die wunderbare Welt der Pilze entflammt hat, den muss ich als gelernter Diplom-Biologe leider enttäuschen: “Schleimpilze” sind gar keine Pilze, sondern gehören zu den Myxogastria-Amöben, von denen es rund 900 Arten gibt, vorwiegend in den Wäldern der gemäßigten Breiten. Diese winzigen Amöben können in bestimmten Entwicklungsphasen zu Syncytien verschmelzen, sodass man sie auch ohne Lupe sehen kann. Zur Vermehrung bilden sie Fruchtkörper (im Bild oben die gewölbte Zone rechts). Während die Fruchtkörper vieler echter Pilze auf dem menschlichen Speiseplan stehen, werden die Myxogastria nicht verzehrt – abgesehen von der Gelben Lohblüte, die man in Veracruz gegrillt als caca de luna genießt.

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Analyse: Gibt es ein Geheimnis guter Lösungen?

Ob die Lösung eines bestimmten Problems gut ist, hängt oft von vielen Eigenschaften der Lösung ab. Wenn ich nur drei Eigenschaften nennen dürfte, wären es die folgenden.

Gute Lösungen sind stets …

… einfach

Everything should be made as simple as possible, but not simpler.
Albert Einstein

… klar

Alles was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.
Ludwig Wittgenstein

… schlank

Weniger ist mehr.
Ludwig Mies van der Rohe

Das Einstein-Zitat habe ich leider nur in der englischen Fassung gefunden – vielleicht war das auch die Original-Sprache?

Was die Forderung nach Klarheit betrifft, so ist sie nicht nur für Dokumente wie Konzepte und Spezifikationen wichtig, sondern mindestens ebenso für Quellcode. Klar heißt dabei stets: verständlich für die Zielgruppen.

Die Forderung nach einer schlanken Lösung hat natürlich einen Haken: Es kostet Aufwand, eine Lösung auf das Wesentliche zu reduzieren. Wie Blaise Pascal im Postskriptum eines in der Tat sehr langen Briefes vom 4. Dezember 1656 schreibt

Ich habe den gegenwärtigen Brief aus keiner andern Ursach so lang gemacht, als weil ich nicht Zeit hatte, ihn kürzer zu machen.
Je n’ai fait celle-ci plus longue que parce que je n’ai pas eu le loisir de la faire plus courte.

Aber bei langlebigen Lösungen zahlt sich der anfängliche Mehraufwand für die Verschlankung meist in kurzer Zeit aus, weil eine schlanke Lösung weniger schnell degeneriert als eine unnötig aufgeblähte.

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Analyse: Das Gesetz der kleinen Zahl

Oder: “Je kleiner eine Stichprobe, um so unsicherer das Ergebnis.” Und welche üblen Folgen es haben kann, auch für Projektleiter und Business Analysten, wenn man dieses Gesetz ignoriert.

In seinem Bestseller Thinking, Fast and Slow schildert Daniel Kahnemann wie er am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn am “Gesetz der kleinen Zahl” schier verzweifelt ist: Er konnte in seinen Experimenten nicht reproduzieren, dass sechsjährige Mädchen im Durchschnitt einen größeren Wortschatz haben als gleichaltrigen Jungen. Mal waren die Mädchen deutlich überlegen, mal die Jungen, mal waren beiden Gruppen gleichauf. Erst als er seine Versuche mit größeren Teilnehmerzahlen durchführte, verschwanden diese statistischen Verzerrungen und er konnte die Überlegenheit der Mädchen bestätigen.

Zu kleine Stichproben verführen nicht nur Biowissenschaftler immer wieder zu Behauptungen, die ihre Kollegen nicht reproduzieren können, auch in den Sozialwissenschaften treiben sie schon lange ihr Unwesen. So hatten die Republikaner bei den US-Präsidentschaftwahlen von 2016 den größten Vorsprung in dünn besiedelten Wahlkreisen mit relative wenigen Wählern. Na klar, das sind ländliche Gebiete mit abgehängten “weißen Männern” (und Frauen), die in ihrer Frustration dem Populismus von Donald Trump erliegen. Aber das Gegenteil war auch richtig: Die Demokraten ihrerseits hatten den größten Vorsprung vor den Republikanern ebenfalls in Wahlkreisen mit wenigen Wählern, nicht in den bevölkerungsreichen.

Diese scheinbare Paradoxie kann man durch “langsames Denken” im Sinn von Kahnemann auflösen: Angenommen, in einer Urne liegen zahlreiche Kugeln, die entweder schwarz oder weiß sind. Man zieht nun blind Kugeln aus der Urne und möchte aus dieser Stichprobe darauf schließen, wie häufig die weißen Kugeln in der Urne sind. Wie viele Kugeln muss man ziehen, damit man den Anteil der weißen Kugeln mit genügender Sicherheit schätzen kann, sagen wir mit 95-prozentiger Sicherheit?

Betrachten wir zunächst die beiden Extremfälle:

  • Wenn man überhaupt keine Kugeln aus der Urne zieht, weiß man auch überhaupt nichts über deren Farbverteilung.
  • Zieht man aber alle Kugeln aus der Urne und zählt die Farben aus, weiß man mit hundertprozentiger Sicherheit, wie hoch der Anteil der weißen Kugeln ist.

Wie die Sicherheit mit dem Stichprobenumfang wächst, kann man mit statistischen Methoden berechnen (siehe z.B. “Statistik für Wirtschaftswissenschaftler” von Josef Bleymüller; Verlag Franz Vahlen; 16. Auflage 2012). Das ist zwar mühsam, aber unumgänglich für die Versuchsplanung, denn sonst weiß man nicht, wie weit man sich auf die Versuchsergebnisse verlassen kann.

Aber auch als Projektleiter oder Business Analyst sollte man sich jetzt nicht grinsend zurücklehnen, denn man ist nur allzu oft selbst in Gefahr, am “Gesetz der kleinen Zahl” Schiffbruch zu erleiden.

Beispiel Test: Wie oft ist es schon vorgekommen, dass ein System alle Tests bestanden hat und trotzdem verheerende Fehler aufgetreten sind, wenn man es produktiv nutzt? Man hat hier wieder das “Gesetz der kleinen Zahl” zu spüren bekommen, diesmal in Form einer zu kleinen Zahl von Testfällen. Die Stichprobe der durchgeführten Tests war so klein, dass man die schweren Fehler nicht bemerkt hat, die sich als wenige schwarze Kugeln in der Massen der weißen Kugeln, also der korrekten Funktionen, versteckt haben. Zwar hätte man auch mit wenigen Tests zufällig auf solche Fehler stoßen können, aber die Wahrscheinlichkeit dafür war wegen der geringen Zahl von Tests nicht hoch genug, um den positiven Testergebnissen zu vertrauen.

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Analyse: “Optimierung der OZG-Umsetzung auf IT-Seite”

Die OZG-Umsetzung erfordert einen komplexen Wandel in Regulatorik, Kultur, Abläufen und IT.
Die OZG-Umsetzung erfordert einen komplexen Wandel.

Zusammenfassung: Hebel für die Optimierung

  • Empfehlenswerte methodischen Grundlagen für die Optimierung des OZG-Vorgehens
    • Nutzer-zentriertes Design
    • Bewährte Software Engineering Praktiken
  • Empfehlenswerte Optimierungs-Maßnahmen
    • Inkrementelles Vorgehen: Die Optimierung erfolgt in kurzen Inkrementen mit Feedback-Zyklen, ausgerichtet auf Risiko-Reduzierung und positives Kosten/Nutzen-Verhältnis.
    • Kanban: Durch eine Kanban-ähnliche Projektsteuerung ermöglicht sie eine sichere Navigation in volatilem Umfeld, Kosten-Nutzen-Optimierung und kontinuierliche Verbesserung.
    • MDD: Durch Model Driven Development fördert sie Skalierung und Nachnutzung.

Warum diese Analyse?

Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ist eine große Herausforderung für den Öffentlichen Bereich: Mehr als 6000 Leistungen von Bund, Ländern und Kommunen sollen bis Ende 2022 auch digital über Verwaltungsportale angeboten werden.

Angesichts einen hohen Zeitdrucks und knapper Mittel stellt sich bei diesem Großprojekt die Frage, wie die beteiligten Organisationen ihr Vorgehen schnell optimieren können. Denn klar ist: Ein Ad-hoc-Vorgehen ohne Rücksicht auf Größe und Komplexität des Vorhabens sowie die zu erwartende lange Lebensdauer der digitalisierten Leistungen wäre ziemlich riskant.

Mehrere Monate Einblick in das OZG-Vorgehen einiger vor allem bayerischer Großstädte haben mich alarmiert und dazu veranlasst, meine Erfahrungen mit der Entwicklung unternehmenskritischer IT-Systeme zu nutzen, um das praktizierte Ad-hoc-Vorgehen zu analysieren und Optimierungs-Maßnahmen auf IT-Seite vorzuschlagen.

Ergebnisse kurz gefasst

OZG-Optimierung_Kurzfassung.V1.0

Ergebnisse ausführlich

OZG-Optimierung_V1.0

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